BGH IX ZB 174/03
Fassung InsO vor 01.07.14
Wer spielt
Um was es geht
Verlauf
Der Schuldner beantragte unter dem Datum des 8. September 2000 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen gemäß § 305 InsO und die Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 287 InsO. In dem beigefügten Vermögensverzeichnis beantwortete er die Frage
“Haben Sie in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in erheblichem Umfang Geld oder wertvolle Gegenstände verschenkt oder wertvolle Gegenstände in einem nicht mehr zum normalen Geschäftsbetrieb zählenden Umfang veräußert?”
mit “nein”. Den Verkauf von zwei Patenten im Jahre 1996 zum Preis von 28.620 DM an seine Schwester führte er nicht auf.
Auf Antrag der weiteren Beteiligten zu 1 hat das Amtsgericht -Insolvenzgericht -die Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO versagt, weil der Schuldner in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht habe. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Schuldner mit seiner Rechtsbeschwerde.
Ergebnis
(…) Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. §§ 7, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO) und zulässig, jedoch unbegründet.
1. Indem der Antragsteller die Frage nach Schenkungen oder Veräußerungen in einem nicht mehr zum normalen Geschäftsgang zählenden Umfang verneinte, hat er unrichtige, zumindest unvollständige Angaben in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen gemacht. Dazu zählt das Verzeichnis des vorhandenen Vermögens (Vermögensverzeichnis). Darauf zielte die hier interessierende Frage. Schenkungen und Veräußerungen in einem nicht mehr zum normalen Geschäftsgang zählenden Umfang können Anfechtungsansprüche begründen. Solche gehören zum Vermögen im Sinne des § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO (…). Der Schuldner hat sie deshalb mit seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens offenzulegen. Entsprechende Auskünfte müßte er auch auf Nachfrage -sogar des Insolvenzverwalters -erteilen (§ 97 Satz 1 InsO). Er darf deshalb auch in den amtlichen Vordrucken gemäß § 305 Abs. 5 InsO danach gefragt werden.
Der Verkauf von zwei Patenten, wobei der Erlös knapp 80 % des zu versteuernden Einkommens im Jahre des Verkaufs ausmachte, gehörte nicht mehr zum normalen Geschäftsbetrieb.
2. Die Rechtsfrage, ob vorsätzliche oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen auch dann zur Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO führen kann, wenn sie sich nicht zum Nachteil der Gläubiger auswirken, wird in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beantwortet (verneinend z.B. LG Saarbrücken NZI 2000, 380, 381; AG Münster NZI 2000, 555, 556; AG Rosenheim ZVI 2003, 43, 44; (…) bejahend demgegenüber LG Heilbronn InVo 2002, 417, 418; LG Frankfurt a.M. NZI 2002, 673; AG Hamburg ZInsO 2001, 30, 32; AG Göttingen ZVI 2003, 88, 89; (…) ).
3. Die Entscheidungserheblichkeit der Frage kann nicht mit der Erwägung verneint werden, auf die gläubigerbenachteiligende Wirkung falscher oder unvollständiger Angaben könne es nur ankommen, soweit das Insolvenzgericht diese überhaupt prüfen könne; im vorliegenden Fall gehe es jedoch um eine mögliche Anfechtbarkeit des verschwiegenen Vorgangs, und dessen Prüfung sei dem Prozeßgericht vorbehalten. Diese Erwägung betrifft allein die Begründetheit der Rechtsbeschwerde (dazu unten 3 d).
4. In der Sache schließt sich der Senat der auch vom Beschwerdegericht vertretenen Auffassung an, daß die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO eine die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigende Wirkung der falschen oder unvollständigen Angaben nicht voraussetzt. Es genügt, daß die falschen oder unvollständigen Angaben ihrer Art nach geeignet sind, die Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu gefährden.
a) Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob die falschen oder unvollständigen Angaben die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger tatsächlich verschlechtern.
b) Mit Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Ansicht, daß die Restschuldbefreiung nur versagt werden kann, wenn die falschen oder unvollständigen Angaben die Befriedigung der Gläubiger nachteilig beeinflußt haben, ebenfalls nicht zu vereinbaren.
Durch die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO soll der Schuldner angehalten werden, wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu machen, die dem Gericht und den Gläubigern einen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners ermöglichen (…). Wenn Angaben, nach denen ausdrücklich gefragt wird, sanktionslos zurückgehalten werden dürften, weil ihre Offenlegung für die Befriedigung der Gläubiger unerheblich ist, könnte dies nicht ohne Auswirkungen auf die subjektiven Elemente des Tatbestandes sein. Es darf jedoch nicht der Beurteilung des Schuldners unterliegen, Angaben zu unterlassen, weil sie vermeintlich “für die Gläubiger uninteressant” sind (vgl. LG Frankfurt a.M. aaO (…) ).
Wäre die Versagung der Restschuldbefreiung von einer Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger abhängig, müßte das Insolvenzgericht das Vorliegen dieser Voraussetzung stets prüfen. Insofern kann das Insolvenzgericht jedoch in vielen Fällen keine verbindlichen Entscheidungen treffen. Ein häufig vorkommender Anwendungsfall des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO ist das Erfinden von Forderungen durch den Schuldner (…). Streitige Forderungen festzustellen, bleibt dem Gläubiger im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten vorbehalten (§§ 179, 180 InsO). Verbindlich zu beurteilen, ob eine Anfechtung (§§ 129 ff InsO) durchgreift, ist ebensowenig Sache des Insolvenzgerichts, vielmehr des Prozeßgerichts. Davon abgesehen widerspräche es dem Grundgedanken des Gesetzes, wenn das Insolvenzgericht im Zusammenhang mit der Restschuldbefreiung die Anfechtbarkeit bestimmter Vorgänge eingehend zu prüfen hätte. In § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO ist die Sanktion für den Verstoß des Schuldners gegen seine Mitwirkungspflicht an leicht feststellbare Kriterien geknüpft. Nur eine schriftliche unzutreffende Angabe in den vorzulegenden Verzeichnissen ist ein Versagungsgrund. Eine mündliche oder schriftliche unzutreffende Angabe außerhalb dieser Verzeichnisse führt nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung. Während des Gesetzgebungsverfahrens wurde diskutiert, ob die Versagung der Restschuldbefreiung “von der Schwere der Schuld oder Beeinträchtigung” abhängig zu machen sei. Dies ist verworfen worden, weil “eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles die Gerichte zu stark belasten würde” (…).
c) Demgegenüber kommt der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 239 Abs. 1 Nr. 5, der dem heutigen § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO entspricht, keine Bedeutung zu. Dort hieß es:
“Die Schuldbefreiung soll schließlich auch dann versagt werden, wenn der Schuldner Auskunftsund Mitwirkungspflichten, die er insbesondere nach den §§ 109 bis 111 des Entwurfs … im Insolvenzverfahren zu erfüllen hat, verletzt und dadurch die Befriedigungsaussichten der Gläubiger vermindert hat.”
Inwieweit dies für die Auslegung des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO von Bedeutung ist, kann dahinstehen. Jedenfalls für die heutige Nr. 6, die erst durch den Rechtsausschuß eingefügt wurde, ergibt sich daraus und aus der übrigen Entstehungsgeschichte nichts.
5. Der Rechtsausschuß ist davon ausgegangen, daß dem Schuldner “bei ganz unwesentlichen Verstößen” die Restschuldbefreiung nicht versagt wird (…). Ob als “unwesentlich” auch objektiv falsche oder unvollständige Schuldnerangaben angesehen werden können, die von vornherein als bedeutungslos für die Befriedigung der Insolvenzgläubiger erscheinen (…), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der von dem Schuldner verschwiegene Verkaufder Patente unter Berücksichtigung der damaligen Einkommensund Vermögensverhältnisse des Schuldners von erheblicher finanzieller Bedeutung war.
Überraschungen
keine