Erben, Vermächtnis und Pflichtteil
Kein Geschäft mit dem Tod.
Mit der Erbschaft soll keiner rechnen. Das gilt auch in der Insolvenz des Schuldners.
Schuldner entscheidet
Es liegt in der alleinigen, persönlichen Entscheidungsmacht des Schuldners, ob er
- die Erbschaft annimmt,
- das Vermächtnis wählt oder
- den Pflichtteilsanspruch geltend macht.
Der persönliche Charakter des Ausschlagungsrechts, der auf den besonderen Beziehungen des Erben zum Erblasser beruht, gilt in allen Verfahrensabschnitten.
Das angenommen Erbe im eröffneten Insolvenzverfahren fällt zu 100% in die Insolvenzmasse. Gleiches gilt für den geltend gemachten Pfllichtteilsanspruch.
Der Schuldner entscheidet im eröffneten Insolvenzverfahren.
Die Erbschaftsannahme ist das höchstpersönliche Recht des Erben.
Dies sieht die Insolvenzordnung für den Schuldner ausdrücklich vor, vgl. § 83 Abs. 1 Satz InsO:
“Ist dem Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Erbschaft oder ein Vermächtnis angefallen oder geschieht dies während des Verfahrens, so steht die Annahme oder Ausschlagung nur dem Schuldner zu.”
Der Schuldner entscheidet auch in der sogenannten Wohlverhaltensphase.
Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und der Ankündigung der Restschuldbefreiung gilt für die Entscheidung des Schuldners das gleiche.
- „(der persönliche Charakter) darf nicht durch einen mittelbaren Zwang zur Annahme der Erbschaft oder Geltendmachung des Pflichtteils unterlaufen werden, der sich ergeben würde, wenn man schon die Erbausschlagung selbst oder den Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteils als Obliegenheitspflichtverletzung im Sinne des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO ansähe, vgl. BGH IX ZB 196/08, zusammengestellt vgl. BGH IX ZB 72/09.
- Die Ausschlagung einer Erbschaft, der Verzicht auf ein Vermächtnis und der Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilanspruchs stellt keine Obliegenheitsverletzungen dar, vgl. BGH IX 196/08”.
Folgen für die Erbschaft
Im eröffneten Insolvenzverfahren fällt die gesamte Erbschaft in die Insolvenzmasse, wenn sie angenommen ist. Die Insolvenzgläubiger und die Insolvenzverwaltervergütung profitieren.
Wird die Erbschaft ausgeschlagen, bleibt alles beim alten.
Die Ausschlagungsregeln sind zu beachten (Fristen, 6 Wochen, etc.), anderenfalls kann die Erbfolge automatisch eintreten.
Wenn Sie ausschlagen, rücken die gesetzlichen Erben nach.
In der sogenannten Wohlverhaltensphase gilt der Halbteilungsgrundsatz, wenn die Erbschaft angenommen ist. Sie müssen die Hälfte des Wertes zahlen.
- In der Wohlverhaltensphase kann der Schuldner seiner Obliegenheit aus § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur durch Zahlung einer Geldsumme in Höhe des hälftigen Wertes des angefallenen Vermögens genügen, vgl. BGH IX ZB 163/11.
Nur wenn Sie annehmen, müssen Sie den hälftigen Wert auszahlen.
Zeitpunkt Todesfall
Für die Erbschaft maßgeblich ist der Todeszeitpunkt des Erblassers.
- Die Erbschaft kann Neumasse gemäß § 35 Abs. 1 InsO sein, wenn der Todeszeitpunkt im eröffneten Insolvenzverfahren liegt. Die Erbschaft kann nur der hälftigen Wertherausgabepflicht gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegen, wenn sie nach Erlass des Aufhebungsbeschlusses anfällt, vgl. BGH IX ZB 229/07.
Die Erbschaft lässt sich ebenso wenig zurückstellen, wie der Tod selbst.
Das Verschweigen der angenommen Erbschaft stellt einen Versagungsgrund oder eine Obliegenheitsverletzung dar, die die Restschuldbefreiung verhindern kann.
Im Einzelfall kann die unterlassene Mitteilung geheilt werden.
Folgen für den Pflichtteil
Der Pflichtteil fällt in die Insolvenzmasse bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahren.
Nach der Aufhebung ist der hälftige Wert des Pflchtteilanspruchs an den Treuhänder zu zahlen.
Vorausgesetzt ist immer, der Pflichtteil wird geltend gemacht. Denn es gilt entsprechend der Regelgung in der Einzelzwangsvollstreckung: Nach § 852 Abs. 1 ZPO ist der Anspruch der Pfändung nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist.
Auch für den Pflichtteilsanspruch ist der Todeszeitpunkt des Erblassers maßgeblich. Es kommt auf den wirksamen Aufhebungsbeschluss über das Insolvenzverfahren an.
- Der Pflichtteilsanspruch gemäß § 2303 BGB gehört entweder zur Insolvenzmasse oder ist Neuerwerb in der sogenannten Wohlverhaltensphase, er entsteht mit dem Erbfall gemäß § 2317 Abs. 1, 1922 Abs. 1 BGB, vgl. BGH IX ZB 249/07.
- Maßgeblich für die Zuordnung des Pflichtteilsanspruchs zur Insolvenzmasse oder zum Neuerwerb während der Wohlverhaltensphase ist, ob der Erbfall vor oder nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat, vgl. IX ZB 184/09
Zurückgestellter Pflichtteilsanspruch?
Die Zurückstellung des Pflichtteilsanspruch im eröffneten Insolvenzverfahren ist (natürlich) das Recht des Berechtigten, bringt im Ergebnis aber keinen Unterschied.
- Der Pflichtteilsanspruch gehört zur Insolvenzmasse als aufschiebend bedingter Anspruch, auch wenn nur der pflichtteilsberechtigte Schuldner über die Geltendmachung – und nicht die Insolvenzverwaltung – entscheiden kann, vgl. BGH IX 196/08.
- Heißt: Der Anspruch ist zur Insolvenzmasse zugehörig. Wenn der Pflichtteilsberechtige (Schuldner) den Anspruch erst nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung geltend macht, wird die Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO angeordnet und der Gegenwert zur Verteilung an die Insolvenzgläubiger verlangt.
Der Pflichtteilanspruch, der geltend gemacht werden soll, lässt sich im eröffneten Insolvenzverfahren nicht aufschieben, da durch Möglichkeit zur Anordnung der Nachtragsverteilung gemäß § 203 InsO die Insolvenzmasse in allen Fällen profitiert.
Umgekehrt besteht keine Mitteilungspflicht, solle der Anspruch nicht erhoben wird.
In der sogenannten Wohlverhaltensphase gilt der Halbteilungsgrundsatz, wenn der Pflichtteil geltend gemacht wird.
Allerdings gibt es einen Unterschied zum Erbe.
Die Erbenstellung passiert – wenn nicht ausgeschlagen wird – zum Zeitpunkt des Todes.
Der Pflichtteilsanspruch hingegen ist aufschiebend bedingt durch die Geltendmachung.
Heißt: Wird der Pflichtteilsanspruch erst nach der Erteilung der Restschuldbefreiung, beziehungsweise dem Ende der Abtretungslaufzeit, geltend gemacht, müsste über die Anordnung einer “Nachtragsverteilung” der Wert eingezogen werden – wie es im eröffneten Insolvenzverfahren auch vorgesehen ist.
- Allerdings sieht das Gesetz die “Nachtragsverteilung” in der Wohlverhaltensphase nicht vor.
Die Möglichkeit, den Halbteilungsgrundsatz zu umgehen, indem der Schuldner das Vermächtnis erst nach Ablauf der sogenannten Wohlverhaltensperiode annimmt, wird in Kauf genommen.
Wenn der Insolvenzschuldner den Pflichtteil erst nach diesem Zeitpunkt geltend macht, tritt diese Folge ebenfalls ein, vgl. BGH IX ZB 168/09
Das Risiko eines Widerrufs der Restschuldbefreiung gemäß § 303 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine andere Frage. Ein weites Feld.
Schweigen
Der Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs stellt ebenso wie die Ausschlagung einer Erbschaft oder der Verzicht auf ein Vermächtnis keine Obliegenheitsverletzung dar.
Eine Pflicht zur unaufgeforderten Mitteilung über eine Erbschaft, ein Vermächtnis oder einen Pflichtteilsanspruch besteht nicht, solange der Schuldner seine Entscheidungsmacht zur Annahme bzw. zur Geltendmachung (noch) nicht ausgeübt hat, vgl. BGH IX ZB 168/09.
Aber: als gesetzlicher Erbe gilt zum Beispiel das Erbe als angenommen, wenn Sie es nicht binnen einer 6-Wochenfrist ausgeschlagen haben.
Wenn Sie die Erbschaft annehmen, muss dies der Insolvenzverwaltung und im weiteren Verlauf der Treuhandschaft in der sogenannten Wohlverhaltensphase unverzüglich mitgeteilt werden.
Anderenfalls ist der Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InO erfüllt oder die Obliegenheit gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO oder Nr. 3 InsO verletzt.
- Eine unterlassene Mitteilung muss schuldhaft erfolgen, wenn der Schuldner aufgrund eines fehlerhaften gerichtlichen Merkblattes meinte, er habe anderes zu tun, fehlt es am subjektiven Tatbestand, vgl. BGH IX ZB 218/04.
Die versäumte Anzeige kann nachgeholt und die Pflichtverletzung regelmäßig geheilt werden, solange der Fehler noch nicht aufgefallen ist.
Danach hat ein darauf gestützter Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung leichtes Spiel.
Eine Besonderheit gibt es für den Pflichtteil in der Wohlverhaltensphase.
Wenn die Geltendmachung nach Erteilung der Restschuldbefreiung erfolgt, dürften die Insolvenzgläubiger leer ausgehen, da eine “Nachtragsverteilung” entsprechend §§ 203 ff InsO von erst nach Erteilung der Restschuldbefreiung an den Treuhänder herausgegebenem Vermögen in der Insolvenzordnung nicht vorgesehen ist, vgl. BGH IX ZB 163/11.
Der Widerruf der Restschuldbefreiung gemäß § 303 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Verbindung mit § 295 Ab. 1 Nr. 3 InsO könnte innerhalb bestimmter Fristen drohen. Ein weites Feld.
Großes Erbe
Wenn der Vermögensanfall von Todes wegen die Schulden deckt, sind verschiedene Konstellationen denkbar. Immer ist auch an die Einstellung des Insolvenzverfahrens wegen Wegfall des Eröffnungsgrundes gemäß § 212 InsO oder im weiteren Verlauf analog § 212 InsO zu denken.