BGH IX ZB 74/07
Beschluss vom 15.11.07
Fassung InsO vor 01.07.14
Tenor
Auf die Rechtsmittel des weiteren Beteiligten zu 1 werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 10. April 2007 und der Beschluss des Amtsgerichts Bersenbrück vom 22. Juni 2006 aufgehoben.
Die restliche Insolvenzverwaltervergütung in Höhe von 1.508,61 € ist aus der Staatskasse zu erstatten.
Die Kosten der Rechtsmittelzüge fallen der Staatskasse zur Last.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.508,61 € festgesetzt.
Gründe
I.
Am 6. September 2004 stellte der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Zugleich beantragte er Restschuldbefreiung und Verfahrenskostenstundung. Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – stundete mit Beschluss vom 12. Oktober 2004 dem Schuldner die Kosten des Insolvenzverfahrens bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung. Am 21. Oktober 2004 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Nachdem der Schuldner untergetaucht war, hob das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 27. Oktober 2005 gemäß § 4c Nr. 5 in Verbindung mit § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO die Verfahrenskostenstundung auf. Mit weiterem Beschluss vom 21. Dezember 2005 setzte es antragsgemäß die Vergütung des Insolvenzverwalters auf brutto 1.972,00 € und seine Auslagen auf brutto 424,21 € fest; es gestattete dem Insolvenzverwalter, den festgesetzten Betrag nach Rechtskraft des Beschlusses der Insolvenzmasse zu entnehmen. Nach Abhaltung des Schlusstermins am 10. Februar 2006 wurde das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt. Der Insolvenzverwalter konnte seinen Vergütungsanspruch nur in Höhe von 887,50 € aus der Insolvenzmasse befriedigen.
Er hat beantragt, ihm die restliche Insolvenzverwaltervergütung nebst Auslagen von 1.508,61 € aus der Staatskasse zu erstatten. Das Insolvenzgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 22. Juni 2006 abgelehnt. Das Landgericht hat die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 10. April 2007 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Insolvenzverwalter mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Das statthafte (§§ 7, 6, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 567 Abs. 2, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) Rechtsmittel ist zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO); es hat auch Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, nach rechtskräftiger Aufhebung der Verfahrenskostenstundung bestehe keine subsidiäre Haftung des Staates für die im Insolvenzverfahren entstandenen Kosten. Eine entsprechende Anwendung des § 63 Abs. 2 InsO sei nicht möglich, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Der Gesetzgeber habe sich bewusst dagegen entschieden, die Ansprüche des Insolvenzverwalters in Übereinstimmung mit dem Prozesskostenhilferecht zu regeln. Da die Vergütung des Insolvenzverwalters in der Regel insgesamt erst mit Abschluss des Verfahrens fällig werde, könne ihm nicht nachträglich ein Teilanspruch in Höhe der bis zur Aufhebung der Stundung entstandenen Vergütung gegen die Staatskasse zugebilligt werden. Die Ablehnung einer subsidiären Haftung des Staates außerhalb des Anwendungsbereichs des § 63 Abs. 2 InsO sei dem Insolvenzverwalter auch zumutbar. Er dürfe sich in keinem Stadium des Verfahrens darauf verlassen, dass die Stundung, die allein dem Schuldner zugute kommen solle, aufrecht erhalten bleibe. Um sein Ausfallrisiko gering zu halten, sei es dem Insolvenzverwalter trotz der dem Schuldner gewährten Stundung unbenommen, einen Vorschuss gemäß § 9 InsVV zu verlangen.
2. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Welche Folgen die vorzeitige Aufhebung der Verfahrenskostenstundung für den Anspruch des Insolvenzverwalters auf Vergütung und Auslagenersatz hat, ist bislang höchstrichterlich ungeklärt. Der Bundesgerichtshof hat zwar entschieden, dass der Staat grundsätzlich nicht für den Ausfall des vorläufigen Insolvenzverwalters haftet, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet wird (BGHZ 157, 370); diese Entscheidung betraf jedoch einen Schuldner, dem die Verfahrenskosten zu keinem Zeitpunkt gestundet waren. Das AG Alzey (Beschl. v. 21. Februar 2002 – IK 08/02, zit. nach juris) hat einem Treuhänder trotz Aufhebung der Stundung seinen Vergütungsanspruch belassen, soweit dieser bis zur Aufhebung bereits entstanden war. Vereinzelt wird dem in der Literatur zugestimmt (Jaeger/Eckardt, InsO § 4c Rn. 98; Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 4c Rn. 15; zweifelnd HambKomm-InsO/Nies, 2. Aufl. § 4c Rn. 8). Ganz überwiegend hat sich das Schrifttum mit der Frage jedoch noch nicht befasst. Allerdings wird verbreitet die Auffassung vertreten, die durch die Beiordnung nach § 4a Abs. 2 InsO begründeten Ansprüche des Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse würden durch die Aufhebung der Stundung nicht verkürzt, unabhängig davon, ob sie von der Staatskasse bereits beglichen worden seien oder nicht. Andernfalls würde der Rechtsanwalt wirtschaftlich mit dem Risiko mangelnden Wohlverhaltens des Schuldners belastet, was ihm nicht zuzumuten sei. Dann würden sich kaum Anwälte finden, die zur Vertretung des Schuldners bereit seien, was dem Ziel des § 4a Abs. 2 InsO, eine angemessene rechtliche Vertretung des Schuldners zu gewährleisten, widersprechen würde (Jaeger/Eckardt, aaO § 4c Rn. 96; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 4c Rn. 6 a.E.; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 4c Rn. 43; HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. § 4c Rn. 27; Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 4c Rn. 14 f; a.A. FK-InsO/Kohte, 4. Aufl. § 4c Rn. 36; Nerlich/Römermann/Becker, InsO § 4c Rn. 5; HambKomm-InsO/Nies, aaO § 4c Rn. 8). Dieses Problem ähnelt demjenigen, das sich im vorliegenden Fall stellt.
b) Hat die Aufhebung der Verfahrenskostenstundung im eröffneten Insolvenzverfahren zur Folge, dass der Insolvenzverwalter, dessen Anspruch auf Vergütung und Auslagenersatz zuvor von der Staatskasse abgedeckt war, einen Ausfall erleidet, weil die Masse zur Befriedigung des Anspruchs nicht ausreicht, haftet die Staatskasse hierfür in zumindest entsprechender Anwendung des § 63 Abs. 2 InsO.
aa) Der Wortlaut dieser Vorschrift legt die Annahme nahe, dass die subsidiäre Staatshaftung unmittelbar nur eingreift, solange die Verfahrenskostenstundung noch besteht. Denn sie setzt voraus, dass die Kosten des Verfahrens nach § 4a InsO gestundet “sind”.
Im Schrifttum wird allerdings die Auffassung vertreten, die Aufhebung lasse die Wirkungen der Stundung nur ex nunc, nicht rückwirkend, entfallen (Jaeger/Eckardt, aaO § 4c Rn. 95; MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4c Rn. 17; Graf-Schlicker/Kexel, aaO § 4c Rn. 14 f). In dieselbe Richtung zielt die Ansicht, bereits auf die Staatskasse “umgelenkte” Ansprüche blieben in ihrer vor der Aufhebung erreichten Lage (Nerlich/Römermann/Becker, aaO § 4c Rn. 5). Da der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Vergütung und Auslagenersatz bereits mit der Aufnahme seiner Tätigkeit begründet wird (MünchKomm-InsO/Nowak, § 63 Rn. 6; vgl. zur Konkursordnung BGHZ 116, 233, 242), stellt sich dann die Frage, ob die zunächst bestehende subsidiäre Staatshaftung entfällt, wenn die Verfahrenskostenstundung aufgehoben wird. Die Frage, ob § 63 Abs. 2 InsO unmittelbar angewendet werden kann, braucht der Senat indes nicht zu entscheiden.
bb) Zumindest ist eine analoge Anwendung des § 63 Abs. 2 InsO geboten, weil dann, wenn eine unmittelbare Anwendung ausscheidet, entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.
(1) Die Verfahrenskostenstundung nach § 4a InsO soll es auch den völlig mittellosen natürlichen Personen ermöglichen, ein geordnetes Insolvenzverfahren zu durchlaufen und damit die Restschuldbefreiung zu erlangen, die nach geltendem Recht ein vorgeschaltetes Insolvenzverfahren voraussetzt. Ohne die Verfahrenskostenstundung käme es nicht zur Eröffnung des Verfahrens, weil dem § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO entgegenstünde. Zur Erreichung dieses Gesetzeszwecks reicht die Stundung der Gerichtskosten nach § 4a Abs. 3 InsO allein nicht aus. Vielmehr muss auch dafür Sorge getragen werden, dass insbesondere der Insolvenzverwalter einen werthaltigen Anspruch auf seine Vergütung erhält. Denn ohne einen solchen wäre freiwillig niemand bereit, an dem Insolvenzverfahren mitzuwirken, und jemanden zur Übernahme des Amtes zu verpflichten, ohne ihm einen gesicherten Vergütungsanspruch zu gewähren, wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Der Gesetzgeber hat dies bei der Einführung der Verfahrenskostenstundung durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (InsOÄndG) vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I, 2710) erkannt (vgl. BT-Drucks. 14/5680 S. 26). Er hat deswegen zugleich in § 63 Abs. 2 InsO geregelt, dass unter der Voraussetzung der Verfahrenskostenstundung dem Insolvenzverwalter für seine Vergütung und seine Auslagen ein Anspruch gegen die Staatskasse zusteht, soweit die Insolvenzmasse dafür nicht ausreicht.
(2) An den Fall, dass zunächst die Verfahrenskosten gestundet werden, der Insolvenzverwalter daraufhin bestellt und auch tätig wird, die Stundung später aufgehoben wird und die Masse nicht einmal ausreicht, um die vom Insolvenzverwalter bis zur Aufhebung verdiente Vergütung und seine Auslagen abzudecken, hat der Gesetzgeber ersichtlich nicht gedacht.
Diese Regelungslücke ist planwidrig, weil nichts dafür spricht, dass der Gesetzgeber das Risiko eines Ausfalls infolge vorzeitiger Aufhebung der Verfahrenskostenstundung dem Insolvenzverwalter überbürden wollte.
Es würde im Gegenteil Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechen, wenn die vorzeitige Aufhebung der Stundung dazu führen würde, dass der Insolvenzverwalter die Sicherung seines Anspruchs verliert. Der Insolvenzverwalter kann bei Amtsübernahme in der Regel nicht wissen, was der Schuldner vor Verfahrenseröffnung getan hat oder danach tun wird und ob ihm deshalb die Verfahrenskostenstundung wieder entzogen wird. Er verlässt sich vielmehr auf die zunächst gewährte Stundung und soll dies auch, weil der Gesetzgeber dadurch die Mitwirkung des Insolvenzverwalters in einem massearmen oder gar masselosen Verfahren sicherstellen wollte. Dürfte er sich nicht auf den Fortbestand der Stundung verlassen, wie das Beschwerdegericht gemeint hat, wäre kein vernünftiger Insolvenzverwalter bereit, das Risiko auf sich zu nehmen, mit seinem Anspruch auf Vergütung und Auslagenersatz ganz oder teilweise auszufallen.
(3) Diese planwidrige Regelungslücke ist durch analoge Anwendung des § 63 Abs. 2 InsO zu schließen.
Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht der Senatsentscheidung vom 22. Januar 2004 (aaO) den Grundsatz entnommen, das Kostenerstattungsrisiko liege stets beim Insolvenzverwalter, wenn die ausdrücklich normierten Voraussetzungen des § 63 Abs. 2 InsO nicht vorlägen. Der Senat hat damals lediglich zum Ausdruck gebracht, § 63 Abs. 2 InsO sei “auf den Anwendungsbereich des § 4a InsO beschränkt” und es ergebe sich daraus nicht, dass der Gesetzgeber “außerhalb der Stundungsfälle” eine werthaltige Absicherung des Vergütungsanspruchs durch eine Subsidiärhaftung des Staates für angemessen halte (aaO S. 572 r. Sp.). Ein “Stundungsfall” liegt – wenn man den Begriff nicht zu eng versteht – auch hier vor. Denn die Vergütung, deren Rest der beschwerdeführende Insolvenzverwalter einfordert, ist durch Tätigkeiten verdient worden, die noch vor Aufhebung der Stundung entfaltet worden sind.
Die Vorschrift des § 63 Abs. 2 InsO ist sogar unmittelbar anwendbar, wenn die Vergütung des Insolvenzverwalters festgesetzt wird, ehe über die Aufhebung der Stundung entschieden wird. Nach § 4c Nr. 5 InsO ist die Stundung aufzuheben, wenn die Restschuldbefreiung versagt oder widerrufen wird. Versagt wird die Restschuldbefreiung erst im Schlusstermin oder sogar danach. Voraussetzung ist ein im Schlusstermin gestellter Antrag eines Insolvenzgläubigers. Im vorliegenden Fall hat das Insolvenzgericht die Stundung vorzeitig aufgehoben, weil zweifelsfrei der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO vorliege. Ein derartiges Vorgehen ist statthaft. Bisher hat der Bundesgerichtshof allerdings nur entschieden, dass unter der genannten Voraussetzung die Stundung nach § 4a Abs. 1 Satz 4 InsO versagt werden kann (BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2004 – IX ZB 72/03, NZI 2005, 232). Wenn Umstände vorliegen, unter denen die Stundung abgelehnt werden könnte, kann auch eine bereits gewährte Stundung vorzeitig aufgehoben werden. Diese Möglichkeit darf jedoch nicht zum Nachteil des Insolvenzverwalters ausschlagen. Deshalb ist § 63 Abs. 2 InsO hier analog anzuwenden.
3. Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil nach dem festgestellten Sachverhältnis die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).
Dr. Gero Fischer Dr. Ganter Dr. Kayser Prof. Dr. Gehrlein Dr. Detlev Fischer Vorinstanzen:
AG Bersenbrück, Entscheidung vom 22.06.2006 – 9 IN 83/04 -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 10.04.2007 – 5 T 581/06 -