BGH IX ZB 86/12
Beschluss vom 18.06.15
Fassung InsO vor 01.07.14
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 6. August 2012 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 29. Dezember 2008 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Schuldner war zugleich Geschäftsführer der N. GmbH (nachfolgend: Gläubigerin), über deren Vermögen ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Das die Gläubigerin betreffende Insolvenzverfahren, in dem der weitere Beteiligte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt war, wurde am 31. März 2011 nach Vollzug der Schlussverteilung aufgehoben. Hierbei wurden die sich aus der Geltendmachung von Ansprüchen im Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners ergebenden Beträge als weiterhin massezugehörig bezeichnet und einer Nachtragsverteilung vorbehalten.
Am 29. August 2011 beantragte der weitere Beteiligte zu 1, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Dem Antrag lag zu Grunde, dass der Schuldner bei Stellung seines Eröffnungsantrags am 18. November 2008 die Gläubigerin und deren später in Höhe von 75.000 € zur Tabelle festgestellte Forderung aus Geschäftsführerhaftung nicht im Gläubigerverzeichnis angegeben hatte. Erst am 5. Februar 2009 teilte der Schuldner gegenüber dem Insolvenzgericht die Gläubigerin und deren bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens außergerichtlich geltend gemachte Forderung mit.
Das Insolvenzgericht hat dem Schuldner die Erteilung der Restschuldbefreiung versagt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit seiner von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Antrag weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 6, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO aF) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der durch den weiteren Beteiligten zu 1 gestellte Versagungsantrag sei zulässig und begründet. Insbesondere habe der weitere Beteiligte zu 1 als Insolvenzverwalter aufgrund der vorbehaltenen Nachtragsverteilung auch nach Aufhebung des die Gläubigerin betreffenden Insolvenzverfahrens nicht die Befugnis verloren, einen Versagungsantrag zu stellen. Die Nichtangabe der Gläubigerin und deren Forderung stelle eine Pflichtverletzung dar, welche nach Gesamtwürdigung der erkennbaren Umstände als grob fahrlässig anzusehen sei. Die Versagung der Restschuldbefreiung sei auch nicht unverhältnismäßig.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Nach § 290 Abs. 1 InsO in der hier maßgeblichen, bis zum 1. Juli 2014 geltenden Fassung ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn dies im Schlusstermin von einem Insolvenzgläubiger beantragt ist und ein Versagungsgrund vorliegt. Diese Voraussetzungen hat das Beschwerdegericht mit Recht angenommen.
a) Der Versagungsantrag ist zulässig, weil er form- und fristgerecht durch den antragsberechtigten weiteren Beteiligten zu 1 gestellt wurde.
aa) Der weitere Beteiligte zu 1 ist trotz der die Aufhebung des die Gläubigerin betreffenden Insolvenzverfahrens antragsberechtigt. Zwar endet mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich das Amt des Insolvenzverwalters mit der Folge, dass der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zurückerlangt (vgl. MünchKomm-InsO/Hintzen, 3. Aufl., § 200 Rn. 31). Dies gilt jedoch nicht hinsichtlich derjenigen Vermögensgegenstände, die zur Teilungsmasse einer angeordneten oder im Rahmen der Schlussverteilung vorbehaltenen Nachtragsverteilung im Sinne des § 203 InsO gehören (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1973 – VI ZR 165/71, NJW 1973, 1198, 1199; vom 10. Februar 1982 – VIII ZR 158/80, BGHZ 83, 102, 103; Beschluss vom 20. November 2014 – IX ZB 16/14, NZI 2015, 128 Rn. 14).
(1) Die Möglichkeit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens unter dem Vorbehalt der Nachtragsverteilung ist allgemein anerkannt (vgl. nur BGH, Urteil vom 22. Februar 1973, aaO; vom 10. Februar 1982, aaO). Der Vorbehalt kann aufgrund der Interessenlage der am Insolvenzverfahren beteiligten Gläubiger geboten sein (vgl. Bork, ZIP 2009, 2077, 2078). Ordnet das Insolvenzgericht einen Vorbehalt der Nachtragsverteilung an, besteht insoweit der Insolvenzbeschlag trotz formeller Beendigung des Verfahrens unverändert fort (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1973, aaO; Beschluss vom 20. November 2014, aaO; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 203 Rn. 15; MünchKomm-InsO/ Hintzen, aaO § 203 Rn. 19; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, 2012, § 203 Rn. 24; HK-InsO/Depre, 7. Aufl., § 203 Rn. 2; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, § 203 Rn. 10). Dies hat zur Folge, dass der Schuldner trotz Verfahrensaufhebung nicht berechtigt ist, über die einer Nachtragsverteilung vorbehaltenen Gegenstände zu verfügen (vgl. MünchKomm-InsO/Hintzen, aaO Rn. 20). Vielmehr behält der Insolvenzverwalter zum Zweck der späteren Nachtragsverteilung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Sinne des § 80 Abs. 1 InsO einschließlich der Prozessführungsbefugnis (BGH, Urteil vom 15. Juni 1992 – II ZR 88/91, NJW 1992, 2894, 2895; Uhlenbruck, aaO Rn. 14; MünchKomm-InsO/ Hintzen, aaO § 200 Rn. 40).
Neben der Berechtigung des Verwalters, bereits anhängige Prozesse weiterzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1982, aaO), ist von der fortdauernden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis regelmäßig auch die Befugnis umfasst, zivilprozessuale Verfahren erst noch einzuleiten (vgl. Uhlenbruck, aaO; Bork, aaO S. 2079). Hierdurch kann eine umfassende Erledigung der zum Zeitpunkt der Schlussverteilung noch ausstehenden Abwicklungsmaßnahmen gewährleistet werden. Daher ist auch die Berechtigung des Insolvenzverwalters, im Rahmen der vorbehaltenen Nachtragsverteilung erforderlichenfalls einen Versagungsantrag gemäß § 290 Abs. 1 InsO zu stellen, als von der ihm gemäß § 80 Abs. 1 InsO zustehenden Befugnis erfasst anzusehen.
(2) Aus dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 31. März 2011 ergibt sich der Vorbehalt der Nachtragsverteilung hinsichtlich der Ansprüche der Gläubigerin gegen den Schuldner mit der Folge einer diesbezüglichen Antragsberechtigung des weiteren Beteiligten zu 1. Einer gesonderten Anordnung der Nachtragsverteilung durch das Insolvenzgericht vor Stellung des Versagungsantrages bedurfte es daher nicht. Vielmehr kommt der Anordnung einer gemäß § 203 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vorbehaltenen Nachtragsverteilung für die Beschlagnahme regelmäßig lediglich deklaratorische Bedeutung zu (vgl. Jaeger/ Meller-Hannich, InsO, § 203 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Hintzen, aaO § 203 Rn. 20 mwN; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, 2012, § 203 Rn. 24). Das Amt des weiteren Beteiligten zu 1 endete somit nicht mit dem Aufhebungsbeschluss. Daher obliegt die Stellung des Versagungsantrages – ebenso wie die spätere Durchführung des Nachtragsverteilungsverfahrens (vgl. MünchKomm-InsO/ Hintzen, aaO Rn. 24) – als Fortführung der Schlussverteilung dem bisherigen Insolvenzverwalter.
bb) Der Antragsberechtigung des weiteren Beteiligten zu 1 stehen auch keine sonstigen Umstände entgegen. Die verfahrensgegenständliche Forderung wurde von diesem angemeldet (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2015 – IX ZB 85/13, WM 2015, 972 Rn. 9 mwN) und auch zur Tabelle festgestellt. Soweit eine Löschung der Gläubigerin im Handelsregister nach Durchführung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG) erfolgt sein sollte, steht auch dies der Antragsberechtigung des weiteren Beteiligten zu 1 nicht entgegen. Grundsätzlich bleibt eine Gesellschaft für eine Nachtragsliquidation parteifähig (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – XI ZR 95/93, NJW-RR 1994, 542; Beschluss vom 16. Januar 2014 – IX ZB 122/12, WM 2014, 328 Rn. 7 mwN) und ist trotz ihrer Löschung nicht beendet. Entsprechend kann sowohl eine Nachtragsverteilung nach § 203 InsO angeordnet (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014, aaO) als auch ein Versagungsantrag durch den im Rahmen der vorbehaltenen Nachtragsverteilung handelnden weiteren Beteiligten zu 1 wirksam gestellt werden.
cc) Der Versagungsantrag wurde form- und fristgerecht innerhalb der durch das Insolvenzgericht nach Anordnung des schriftlichen Verfahrens gesetzten Frist und unter Glaubhaftmachung des Versagungsgrundes des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO gestellt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde wäre eine fehlende Zustimmung der Gläubigerversammlung bereits deshalb nicht geeignet, zur Unzulässigkeit des Versagungsantrags zu führen, weil ein solcher Verstoß regelmäßig keine Außenwirkung entfaltet und somit für die Rechtsbeziehungen zu Dritten ohne Bedeutung ist (vgl. MünchKomm-InsO/Görg/ Janssen, 3. Aufl. § 160 Rn. 36).
b) Die Beurteilung des Beschwerdegerichts, der Schuldner habe durch die Nichtangabe der Gläubigerin und der verfahrensgegenständlichen Forderung in einem gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnis zumindest grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht und damit den Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO erfüllt, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Der Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO setzt eine Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger nicht voraus. Es reicht vielmehr aus, dass die Pflichtverletzung ihrer Art nach geeignet ist, die Befriedigung der Gläubiger zu gefährden (BGH, Beschluss vom 24. März 2011 – IX ZB 80/09, ZInsO 2011, 835 Rn. 3; vom 28. Juni 2012 – IX ZB 259/11, ZInsO 2013, 99 Rn. 10; D. Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 290 Rn. 97). Dies ist immer dann der Fall, wenn – wie vorliegend – der Gläubiger einer Insolvenzforderung nicht im Verzeichnis aufgeführt ist, weil dadurch seine Teilnahme am Verfahren in Frage gestellt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2012, aaO). Ob es dem Gläubiger gelingt, seine Forderung noch rechtzeitig anzumelden, ist unerheblich (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 – IX ZB 63/08, NZI 2009, 562 Rn. 16; vom 28. Juni 2012, aaO).
Auch die Tatsache, dass der Schuldner die verfahrensgegenständliche Forderung bestritten hat, entbindet ihn nicht von der Verpflichtung, diese in das gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegende Verzeichnis aufzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009, aaO Rn. 7 ff). Der Beurteilung des Schuldners unterliegt es grundsätzlich nicht, Angaben deshalb zu unterlassen, weil er sie für seine Gläubiger als bedeutungslos erachtet (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2004 – IX ZB 174/03, WM 2004, 1840, 1841; vom 2. Juli 2009, aaO Rn. 10).
bb) Die Feststellung der Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit obliegt grundsätzlich dem Tatrichter und ist daher mit der Rechtsbeschwerde nur bedingt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt lediglich, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 – IX ZB 218/04, WM 2006, 1438 Rn. 9; vom 19. März 2009 – IX ZB 212/08, WM 2009, 857 Rn. 7; D. Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO Rn. 41). Anhaltspunkte dafür, dass die Vorinstanz in einseitiger Weise lediglich die zum Nachteil des Schuldners gereichenden Umstände berücksichtigt habe, liegen nicht vor. Vielmehr hat sich das Beschwerdegericht in umfassender Weise nicht nur mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Schuldner im Jahr 2007 und der Zustellung des Strafbefehls unmittelbar vor Stellung des Eigenantrages auseinandergesetzt, sondern auch den Einwand des Schuldners gewichtet, wonach der weitere Beteiligte zu 1 die Forderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gerichtlich geltend gemacht habe.
cc) Das Beschwerdegericht hat die Versagung der Restschuldbefreiung mit Recht nicht als unverhältnismäßig angesehen. Die auf den Einzelfall bezogene Würdigung, wonach sich das Verhalten des Schuldners nicht von vornherein als ganz unwesentlicher Verstoß gegen ihm nach der Insolvenzordnung obliegende Pflichten darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96 Rn. 8 mwN), ist nicht zu beanstanden. Insbesondere vermag die Tatsache, dass der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber noch vor Stellung des Versagungsantrages durch den weiteren Beteiligten zu 1, seine Angaben im Gläubigerverzeichnis ergänzte, keine Unverhältnismäßigkeit der Versagungsentscheidung begründen. Während im Regelinsolvenzverfahren die Nachholung einer gebotenen, aber zunächst unterlassenen Auskunftserteilung vor Aufdeckung und Stellung des Versagungsantrages regelmäßig zur Heilung der Obliegenheitsverletzung führt (vgl. D. Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO Rn. 90 f), können diese Grundsätze nicht vollumfänglich auf das Verbraucherinsolvenzverfahren übertragen werden. Aufgrund des der Verfahrenseröffnung vorangehenden Schuldenbereinigungsverfahrens, in dem richtige und vollständige Angaben des Schuldners unerlässlich sind, kann eine die Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigende Vervollständigung der Angaben ausschließlich im Eröffnungsverfahren erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2005 – IX ZB 260/03, NZI 2005, 461; vom 7. Dezember 2006, aaO Rn. 7; vom 16. Dezember 2010 – IX ZB 63/09, WM 2011, 176 Rn. 6).
Kayser Vill Lohmann Fischer Möhring Vorinstanzen:
AG Kempten (Allgäu), Entscheidung vom 17.10.2011 – IK 756/08 -
LG Kempten, Entscheidung vom 06.08.2012 – 42 T 2334/11 -